Vom Sichtbarmachen der Dunkelheit
im Gepräch mit Marius Rehwalt
Du bist aufgewachsen in Kreischa, lebst heute in Dresden und arbeitest hauptberuflich als Feinmechaniker. In deiner Freizeit widmest du dich erst seit gut zwei Jahren verstärkt der Malerei und bist außerdem als Schriftsteller tätig. Begegnet sind wir uns erstmalig auf der BRN 2018 (Bunte Republik Neustadt), wo du mutig deine ersten Werke auf einem einfachen Klapptisch präsentiert hast.
Dein künstlerischer Werdegang führt nicht über eine Uni, einen Privatlehrer oder abendliche Malkurse, sondern durch die gähnende Leere einer heute leider weit verbreiteten Krankheit: Depression
Wann und wie hast du gemerkt, dass du unter Depressionen
leidest?.
Auch wenn ich erst im Nachgang durch die Therapie herausfand, das die
Depression mich schon in schwächerer Form seit meiner Jugend begleitete, so
blieb dies lange verborgen. Diese Freudunfähigkeit sah ich als normal an. Da
sich jener Zustand über einen Zeitraum von ungefähr zehn Jahren abspielte
spricht man von einer sogenannten Dysthymie. Als dann eine Grenze an negativen
Gefühlen und Überlastung überschritten wurde, da brach das Ganze in mir
komplett zusammen. Ich begann mich in den härtesten Momenten an den Armen zu
kratzen an, ging wie ein Tiger im Käfig apathisch durch meine Wohnung. Einmal verursachte
ich einen Schaden an meiner Maschine auf Arbeit, da ich mich überhaupt nicht
konzentriert hatte. Und immer wieder dachte ich über sogenannten „passiven
Suizid“ nach. Ich sehnte mich nach Dunkelheit, suchte den Abstand zu Allen,
dachte immer wieder darüber nach, dass Freunde und Familie ohne mich besser
dran wären. Dass ich das große Übel in ihrem Leben sei.
Seelendusche |
Du hast dann 2017 den Mut aufgebracht und dich selbst in eine Klinik begeben.
Ja. Ich meldete mich aufgrund einer Suchtproblematik freiwillig und es stellte sich schnell heraus, dass weniger die Sucht das Problem war, sondern etwas tiefer in meiner Seele vergraben lag.
Wie hast du dann die Kunst plötzlich als Mittel, Weg und Ausdruck für dich entdeckt?
Während der stationären Therapie fand natürlich auch die Ergotherapie statt. Natürlich hätte ich auch andere Dinge ausprobieren können, doch ich entschied mich für die weißen Blätter und Wasserfarben. Die dort entstanden Bilder sind auch weiterhin in meinem Besitz. In der Freizeit entschloss ich mich nach einigen Wochen meine Gedanken in eine Geschichte zu formulieren. Was mich an mir selbst störte, was mich mit Angst und Schmerzen erfüllte, wie ich die Gesellschaft oder manchen Teil meines Umfeldes ansah, das wollte endlich einmal so gesagt werden, wie ich es wahrhaft und ehrlich ansah. Wie es auf mich wirkte, seit meiner Jugend. Mit dem richtigen Malen jedoch habe ich dann begonnen, als ich mit der Geschichte zu Ende war, und mir ein Freund ein paar Leinwände schenkte. Dies war im Februar 2018 und lässt mich nun auch nicht mehr los.
Permanenz derVergänglichkeit |
So hat dir die Kunst, als Ausdrucksform, also dazu verholfen dich selbst besser zu erkennen und deine Depression zu überwinden. Siehst du deine Malerei heute immer noch als eine Bewältigung und ein Aufarbeiten deiner Depression oder beobachtest du einen Wandel?
Einen Wandel sehe ich selbst immer wieder und das in
mehreren Bereichen. Zum einen hätte ich mir zu Beginn meiner Malerei nie
vorstellen können, das auch fast „Reine Ästhetik“ einmal der Grund oder die
Motivation werden könne, für ein Werk. Ich nahm an, dann würde ich mich selbst,
meine Kunst und auch meine Persönlichkeit verleugnen. Teilweise bereitete mir
dies sogar eine gewisse Furcht.
Ich denke, großen Einfluss darauf hatte unteranderem die Therapie in der Form,
dass ich zum Selbst-denken ermuntert wurde und mich mit dem
auseinanderzusetzen, was mich wirklich interessiert. Der Wandel steht in
starkem Zusammenhang damit, wie ich durch Philosophie, Psychologie, und
Soziologie, mein Weltbild verändere. Der Blick auf mich selbst als ein Subjekt,
das immer mit sich streitet, aber das zu eigenen spirituellen Ressourcen
findet, welche mich im Leben begleiten, die mir Kraft, Mut und Zufriedenheit
geben.
Im Schreiben bin ich noch lange nicht an diesem Punkt, weil hier mehr die
Konzentration darauf liegt, all die Gedanken, das Erlernte oder das, woran ich
glaube, zu ordnen und in eigenen Worten verständlich zu machen. Dabei wähle ich
bewusst Szenen und Persönlichkeiten, welche in eher radikaler Form aufzeigen,
was mich an der Gesellschaft, einer Ideologie oder übersteuerten Gefühlen
stört. Was ich als beklemmend und menschenfeindlich sehe. Wobei es in der
Essenz immer noch darum geht, durch das Verstehen von negativen Aspekten in
unserem Leben, neue Wege zu erkennen, zu erforschen und am Ende zu mehr Freude
und Zufriedenheit im Leben zu gelangen.
Warum hat dich die Motivation einer „reinen Ästhetik“
geängstigt und warum ist das nun nicht mehr so?
Das ich eine gewisse Furcht verspürte, Werke nur aus „Reiner Ästhetik“ zu gestalten,
lag wohl daran das ich dachte, den Kern meiner eigenen Persönlichkeit zu
verlieren. Das ich leugne wer ich wirklich bin oder mir selbst etwas vorlüge.
Womöglich sogar mehr danach gehe, was andere sich wünschen, als das zu
erschaffen, was ich selbst wahrhaft spürte und fühlte.
Du hast von „spirituellen Ressourcen“ gesprochen, zu denen du findest und die
dich begleiten, kannst du diese näher beschreiben/ausführen?
Im Vordergrund steht dabei das Lesen, um neue Blickwinkel auf das Leben zu
erhalten. Aber eben auch der Mut, mich kritisch mit dem bisher Geglaubten
auseinander zu setzen. Jedoch gibt es auch Kleinigkeiten, wie das regelmäßige
Meditieren, welches mir hilft ein Stückweit Stabilität im Leben zu erhalten.
Doch was uns im Leben hilft zurecht zukommen, sollte niemals starr sein oder
von anderen vorgegeben. Jeder sollte Flexibel bleiben, was ihm hilft mit den
Widrigkeiten im Leben bestmöglich umzugehen. Dabei ist dies immer eine ganz
individuelle und persönliche Angelegenheit.
Mutter-Vater-Kind, Alles ist Eins |
Hattest du das Gefühl, dass du vor deiner Therapie in deinem Denken eingeschränkt, bzw. gelenkt bist? Wie kam es dazu?
Ja, das war ich tatsächlich, denn ein zu starres Regelwerk und Schwarz-Weiß Denken zwängte mich in eine Hülle, in die ich nicht hinein gehörte. Fragen konnten nicht gestellt werden, ohne die Antworten schon zu kennen, oder kennen zu müssen. Und wenn die gesamte „soziale Absicherung“ darauf beruht, dass man immer bestimmte Antworten gibt und auslebt, dann ist man gefangen in einem Korsett von Gedanken. Ideologien mit dem alleinigen Wahrheitsanspruch unterbinden eine gesunde Entwicklung. Sowohl was den eigenen Blick auf die Welt, die Gesellschaft und natürlich auch sich selbst angeht. Es kann oft gut gemeint sein, solch einer Ideologie eingebürgert zu werden. Das man selbst damit aber zufrieden und glücklich wird, steht auf einem eigenen Blatt.
Welche Punkte stören dich an unserer Gesellschaft?
Ich glaube, die Gesellschaft hat auch viele gute Seiten. Zumindest wenn man sich auf diese konzentriert.
Jedoch sehe ich viele Umgangsarten des Lebens als nachteilig für die Gesellschaft. Wir sollten uns mehr auf das Positive fokussieren, dafür dankbar sein und mit dem Rest an Energie diese positiven Dinge erweitern, auf weitere Menschen, Völker, Länder,…
Ein großer Teil verbraucht die Energie aber lieber dafür, sich im Selbstmitleid zu suhlen und nichts anderes als sich zu beschweren. Damit das eigene Leben gelingt, kommen viele Seiten in Betrachtung: Eine davon ist und bleibt man selbst. Und dieses Selbst wird immer mehr vernachlässigt. Auch weil sich wirklich Zeit für sich zu nehmen heißt, mit existenziellen Fragen konfrontiert zu werden. Dort aber sind auch immer eine gewisse Bedrängnis und Gefahr verborgen. Und unsere Gesellschaft lenkt sich gerne ab.
Aber auch der menschliche Hang, die Welt durch Religion und Verschwörung, oder andere Ideologien, zu vereinfachen, halte ich für nicht menschengemäß und vor allem auch nicht Zeitgemäß. Sie hemmen ein ethisches und solidarisches Miteinander.
Ist vielleicht ein vernachlässigtes Miteinander und zu verkopftes Leistungsdenken auch ein Grund dafür ist, dass Depression immer mehr zur einer Volkskrankheit mutiert? Zumal davon häufig immer jüngere oder sogar vor allem jüngere Menschen betroffen sind. Das entnehme ich zumindest meiner subjektiven Wahrnehmung aus dem persönlichen Umfeld. Welche Perspektive hast du darauf?
Psychische Erkrankungen sind natürlich ein unglaublich weites Feld. Unglaublich
viele Faktoren wirken darauf ein. Doch ich gebe dir vollkommen Recht, ich
glaube auch, dass ein großer Anteil dabei, die Leistungsorientierung ist. Viele
fühlen sich in ihrem Alltag schnell überfordert und beginnen sich daraufhin
selbst minderwertig zu fühlen. Außerdem sehe ich Teufelskreisläufe, indem wir
Erwartungshaltungen blind übernehmen und auf unsere Mitmenschen übertragen.
Und zu oft gehen wir mit dem Unbehagen durch die Welt, wie die Blicke anderer über uns urteilen.
Hinzukommt, dass wir Zufriedenheit und einen Sinn im Leben im
Außen suchen. So beginnen viele Menschen unserer Gesellschaft alles, was sie an
Glück und Liebe begehren, durch Leistung, Konsum oder Ideologien zu füllen.
Jeder dieser Punkte greift und bewegt leider aber nichts dort, wo man wirklich
beginnen sollte: in einem selbst. Wie gehe ich mit mir selbst um? Was brauche
ich wirklich? Wer bin ich und was kann ich wirklich gut? Was sind meine
Fähigkeiten und Leidenschaften? Was meine Schwächen? Finde ich Frieden und
Liebe zu mir selbst, dann kann ich auch anders in die Welt schauen. Dann kann
ich beginnen, das System in dem man lebt mit zu gestalten und „benutzen“, aber
sich nicht ausbeuten oder benutzen zu lassen. Dann benötigt man weniger Zeit
und Kraft für Konsum. Und jeder der diesen Weg geht, wird andere durch sein
Verhalten beeinflussen, sodass nach und nach mehr Menschen zur Ruhe kommen. Und
da ich denke, das die Aufklärung dahingehend ein gutes Beispiel liefert, wie
Werte von Generation zu Generation verbessert werden, bin ich vorsichtig optimistisch.
Da du davon sprichst, das besonders junge Menschen betroffen sind, sollten wir
dort beginnen, wo neues Leben beginnt und geprägt wird. In der Erziehung, der
Bildung der Eltern, dem Schulsystem. Natürlich ist das leichter gesagt als
getan, aber auch hier denke ich, je mehr Menschen darüber aufklären und darüber
sprechen, desto mehr machen sich die Erkenntnisse breit.
Vielen Dank für das Gespräch und deine abschließenden positiven Gedanken!
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