MitMenschen - die Farben eines Stadtviertels



Im Interview mit dem Neustadtkünstler Thomas Schreiter

Als ich mich 2018 für ein Kunstprojekt in der Dresdner Neustadt interessierte, traf ich auf einen überaus hilfsbereiten und engagierten Künstlerkollegen, der sich gerade die Gestaltung und Koordination einer ganzen Straße für ein Stadtteilfest aufgebürdet hatte. Aus der daraus entstehenden Zusammenarbeit entwickelte sich eine echte Freundschaft. Und obwohl Thomas und ich in der gleichen Stadt wohnen, sehen wir uns verhältnismäßig selten. Was zum Teil daran liegt, dass man ihn kaum aus seinem geliebten Stadtviertel herauslocken kann.

Der Künstler Thomas Schreiter wohnt mitten im Szeneviertel der äußeren Dresdner Neustadt und hat dort auch sein Atelier. Der Stadtteil ist (vor Corona) geprägt von Studenten und überwiegend jungen Familien, sowie einer extremen Vielfalt an Bars, Kneipen, Restaurants, Geschäften und vielem mehr. Mir fällt es schlicht schwer den bunten Eindruck dieses Stadtteils wiederzugeben, aber ich finde, genau das gelingt Thomas mit seinen Bildern.

 „Thomas, was hält dich hier, bzw. was schätzt du an diesem Stadtteil am meisten?“

Color of music - Kunsthofpassage
 

"Die Menschen hier haben es mir angetan. Hier prallen die verschiedensten Kulturen und Szenen aufeinander und Leben meist doch recht friedlich zusammen. Jeder kann so sein wie er ist und sich selbst verwirklichen. Keiner wird schräg angeschaut wenn er Barfuß durch die Straßen zieht oder mit 80iger Glitzer-Klamotten und Boombox am Bermuda-Dreieck sitzt. Die Neustadt ist ein Dorf, egal über welche Straße man läuft, ich sehe immer Menschen die ich kenne und man hält einen kleinen Plausch über den Tag und Abends trifft man sich nochmal im Alaunpark auf ein Bier. Dieses Viertel strahlt an jeder Ecke Liebe, Kreativität und Schaffensdrang aus, seien es die Banner an den Fenstern oder die stetig im Wandel befindliche Straßenkunst. Die alten Fassaden bieten eine wunderbare Kulisse für meine Motive und in diesen verarbeite ich die Erlebnisse mit den Leuten, die meine Wege kreuzen. Ich habe mich in die Menschen und das Viertel verliebt."

 

"Klingt als ob du DEN Ort für deine Inspiration gefunden hast. Inzwischen bündeln deine bunten Kunstwerke nicht nur den Spirit des Viertels, du prägst  den Stadtteil auch mit deinen Werken, so findet man deine Designs auf dem Neustadttee, Kunstkarten die einzelne Straßenzüge zeigen in verschiedenen Geschäften wie z.b. im Catapult oder im ART-ICALS und du bist in einem regionalen Kunst-und Kulturverein aktiv. Dass du heute als Künstler arbeitest, hast du in gewisser Weise deinem Vater zu verdanken, dabei war die Beziehung zu ihm in deiner Kindheit nicht besonders gut.

Wie kam es dazu? Welche Rolle spielte dein Vater für dich und wie blickst du heute darauf?"

 

"Ja die Neustadt und die Gespräche die ich hier führe liefern immer eine Inspiration für meine Bilder. Über das Neustadt Art Festival habe ich viele Kontakte knüpfen können und bin seit 2017 aktiv mit bei der Organisation dabei. Inzwischen hat sich daraus ein Kollektiv gegründet was sich stark für Lokale Projekte einsetzt, um in Zeiten von Corona, Künstlerinnen und Künstler zu fördern. Der Vernetzungsgedanke steht dabei im Vordergrund. In der Vergangenheit hatte ich oft das Gefühl, dass wenig Vertrauen zwischen den Schaffenden hier in Dresden herrscht, das hat sich in den letzten Jahren aber zum positiven gekehrt. Das ich heute als Künstler arbeite hab ich auf eigenartige Weise auch meinem Vater zu verdanken. Die Beziehung zu ihm war sehr ambivalent, da er einen cholerischen Charakter besaß. Ihm gefiel das Malen ebenso und somit kaufte er Ölfarben, Pastellkreide und Leinwände auf denen wir gemeinsam gemalt haben. Dies sind die schöneren Erinnerungen an ihn und ich habe das Gefühl, dass er mich dort fördern konnte. In anderen Dingen sind wir oft aneinander geraten und er lebte gern seinen Frust in der Familie aus. Das prägt mich bis heute und daraus resultiert mein Gerechtigkeitsgefühl und meine Geduld, die ich für Menschen aufbringe. Ich wollte nicht so zerstörerisch werden wie mein Vater. In meiner Jugend kam ich dann ziemlich ab vom Malen, vielleicht auch um gegen ihn zu rebellieren und um mit der einzigen Verbindung zu brechen die wir hatten. Erst nach meinem Grafikdesign Studium bin ich wieder zum Malen gekommen und nach seinem Tod 2015 wollte ich endlich das machen für was ich brenne, die Kunst."

Area 87 - Louisenstraße / Talstraße
 

"Du hast deinen Vater ja in seiner letzten Lebensphase begleitet und gepflegt. Seid ihr euch dabei wieder näher gekommen? Wieso wurde dir erst nach seinem Tod klar, dass du eigentlich als Künstler arbeiten möchtest?"

 

"Ich bin ihm wieder näher gekommen, ich weiß nicht ob es ihm in ähnlicher Weise erging. Es war eine schwierige Zeit, da alles sehr schnell ging und er nach nur wenigen Monaten seinem Krebsleiden erlag. Hauptsächlich hat ihn meine Mom gepflegt, ich bin dann zur Unterstützung und Entlastung oft zu den beiden gefahren. Meine Mutter war sehr überfordert und konnte nur noch wenig Geduld für meinen Vater aufbringen, was aus ihrer Sicht, nach all den Jahren, verständlich war. Dennoch fühlte ich mich zu der Zeit wieder näher meinem Vater verbunden und versuchte etwas Ruhe in die angespannte Pflege-Situation zu bringen. Zu dem Zeitpunkt war ich selbst unzufrieden mit dem was ich in meinem Leben tat. Somit war die erzwungene Auszeit und die Beschäftigung mit meiner Vergangenheit und meinem Vater sehr heilend. Ich habe ihm vergeben und akzeptiert, dass er nie der liebevolle und fürsorgliche Vater sein konnte, den ich gern gehabt hätte.

Ich musste für mich selbst lernen was Liebe und Selbstliebe bedeutet. Doch ich denke ich bin da auf einem guten Weg gekommen. In meiner Kindheit und Jugend wurde die Selbstständigkeit immer sehr verteufelt. Meine Mom hat mich in einen Büro als Buchhalter gesehen und mein Pa wahrscheinlich ähnlich, nur irgendwo in einem Rathaus. Das waren die Dinge die meine Eltern kannten und es gestaltete sich schwierig ihnen meine Ideen und Vorstellungen nahe zu bringen, zumal durch die cholerischen Ausbrüche meines Vaters, an Diskussionen oder nur an einfaches normales Reden, nicht zu denken war. Somit schob ich meine eigenen Ideen und Vorstellungen zur Seite und versuchte mich mit dem zu füllen, was meine Eltern von mir wollten, dies ging natürlich schief und resultierte in noch mehr Frust, Angst und Abgrenzung. Allgemein fühlte ich mehr als eine leere Hülle, als ein eigenständiger Mensch mit Träumen. Erst mit dem Tod meines Vaters konnte ich für mich selbst einen Abschluss aus diesen Rollen finden. Ich fühlte mich frei mit dem was ich tat und die Stimmen aus meiner Jugend wurden leiser und verstummten mit der Zeit und meine Träume kamen wieder."

 

Cthulhu - Sebnitzer Str./ Görlitzer Str.

 

"Seine eigenen Träume ernst nehmen und ihnen zu folgen, ist oft leichter gesagt als getan. Du hast inzwischen einiges dafür getan, die Dresdner Neustadt zu bereichern. Vor deiner eigenen Haustür hast du mehrfach ein buntes Kulturprogramm zur BRN (Bunte Republik Neustadt) auf die Beine gestellt und 2018, mit deinem Team, sogar den Preis für die schönste „Insel“ (so heißen die einzelnen Straßenabschnitte, für die jeweils ein Organisator verantwortlich ist) abgeräumt. Als Mitbegründer des Neustadt-Art-Kollektivs hast du mit „Kunst unterm Dach“ ebenfalls eine Plattform für regionale Künstler geschaffen in dem sich ein, sonst ungenutzter und verwahrloster Dachboden einmal im Jahr zu einem bunten und gemütlichen kleinen Kunstmarkt mit Minibühne verwandelt."



 

Aufbau von Kunstständen aus Dachlatten zur BRN 2018, Idee und Konzept: Andreas Gorlitz

Künstler-Insel "Alausebim" auf der Sebnitzer Straße, BRN 2018

In Zeiten von Corona, sind solche Veranstaltungen in eine, fast schon nostalgische, Ferne gerückt. Wie schätzt du die Lage aktuell für zukünftige Ausstellungen und Veranstaltungen ein?"

Kunst unterm Dach, Neustadt Art Festival

 

"Planbar ist, dass zur Zeit nichts planbar ist. Die mit Corona verbundenen Einschränkungen ändern sich gefühlt im Wochentakt und viele Menschen sind verunsichert, was sie jetzt noch dürfen und was nicht. Die selbe Verunsicherung spüre ich bei vielen Kollegen und auch bei mir selbst. Um solch große Aktionen wie für die BRN zu planen braucht es Vorlaufzeit. Doch niemand weiß ob die BRN dieses Jahr in der Form wie vor Corona stattfinden kann. Allgemein ist es gerade schwer neue Konzepte für Veranstaltungen zu finden, besonders was die bildende Kunst angeht. Ich wälze Ideen mit Kollegen, wie man virtuelle Ausstellungen oder andere digitale Konzepte umsetzen könnte, doch nach fast einem Jahr Corona schwindet auch das Interesse an Live-Streams und Co. War es am Anfang vielleicht ganz witzig seinen Lieblingskünstler*in zu Hause auf dem Sofa vor der Glotze zu sehen, fehlt mir zunehmend das Live-Gefühl in einer Bar/Konzertsaal mit Publikum und Freunden. Mir fehlen die Märkte und Ausstellungen, wo ich mit den unterschiedlichsten Menschen über meine Kunst ins Gespräch kommen kann. Ohne diese Präsens auf der Straße oder in Ausstellungen ist es sehr schwer neue Kunden zu finden und ich spüre zunehmend die finanziellen Auswirklungen.

Bermuda-Dreieck Weihnacht

Corona ist eine riesen Herausforderung für die Kunst und Kulturszene, es bleibt abzuwarten wie viele die Zeit überleben. Es blutet mir das Herz, wenn ich höre das Kollegen, aufgrund dieser Situation, Hartz IV beantragen müssen und das Bearbeiter*innen des Jobcenters inzwischen Druck machen, dass sie gefälligst Bilder verkaufen oder sich eben einen anderen Job suchen sollen. Wir reden hier von Menschen die bisher für ihr Auskommen alleine sorgen konnten und nur aufgrund der Beschränkungen in Notlage geraten sind."

 

"Die Situation hat sich für viele Menschen inzwischen zu einer existentiellen und/oder gesundheitlichen Notlage entwickelt. Beides wiegt schwer in unserer Gesellschaft. Ich möchte uns Künstlern dennoch nicht den Mut nehmen und positiv in die Zukunft blicken. Ich erinnere mich an einige Großprojekte deinerseits, wie die Neustadtkarte und ein illustriertes Kartenspiel mit Motiven und Persönlichkeiten aus der Neustadt. Wäre jetzt nicht die Gelegenheit daran zu weiter zu arbeiten?
Oder anders gefragt, woran arbeitest du aktuell?"

 

"Genau für solche Projekte nehme ich mir gerade die Zeit. Diese haben sich, aufgrund von Zeitmangel, immer weiter nach hinten verlagert, aber “Dank“ Corona habe ich mehr als genug freie Tage, um diese umzusetzen. Zur Zeit arbeite ich noch an einer großen Auftragsarbeit in Öl, dem zweiten Tee-Motiv für das Teerausch in der Kunsthofpassage und zwei weiteren Neustadt Motiven in Aquarell. Eines davon verschlägt das Viertel in ein fiktives Mittelalter bei dem natürlich der Doktor mit der Pestmaske nicht fehlen darf.



Außerdem möchte ich die “Neustädter Tisch-Serie“ weiter führen, dabei male ich Stillleben von real existierenden Küchentischen mit den Eigenheiten der jeweiligen Wohnungsbewohner. Mal steht eine Sterniflasche mit einem übervollen Aschenbecher im Fokus und beim nächsten die Mate Flasche mit Schreibblock und Laptop. Es ist dabei sehr spannend Einblicke in den Alltag von verschiedensten Lebensgewohnheiten zu bekommen und diese dann auf Leinwand umzusetzen. Dabei ist mir wichtig noch ein Bild zu erwähnen was ich als nächstes in Öl umsetzen werde: Handy, Schlüssel, Portemonnaie und Maske… ein Stillleben, was seit fast einem Jahr zu unserem Alltag gehört und die Maske hängt inzwischen wie selbstverständlich neben unserer Jacke an der Garderobe.


Wie du siehst an Ideen mangelt es gerade nicht, manchmal ziehen einen, die mit der Situation verbundenen Sorgen, etwas nach unten. Aber wie du schon meinst, es gibt genug Dinge, um positiv zu bleiben und wenn es einfach nur die gewonnene Zeit ist, die man sonst in andere Projekte stecken würde. Somit möchte ich dieses Jahr die Arbeit an dem Kartenspiel fortsetzen, dazu entstehen 32 neue Motive von den Neustädter Straßen, für die jeweiligen Karten. Dabei werden Pik, Kreuz, Herz und Karo die unterschiedliche Jahreszeiten symbolisieren und Bube, Dame, König werden mit Prominenten Neustädter-Gesichtern der aktuellen Zeitgeschichte besetzt. Für das Ass habe ich auch eine besondere Idee, aber diese möchte ich noch nicht verraten."


"Das klingt spannend! Bei so vielen Ideen und Projekten wünsche ich dir vor allem viel Motivation und Durchhaltevermögen für das frisch gestartete Jahr.


Vielen Dank für das sehr offene Gespräch und viel Erfolg bei allen kommenden Projekten.
"


Hinter der Kamera bei vielen Fotos, die in diesem Beitrag Verwendung fanden:
Elisabeth Robock

 

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